„Pharma-Sklaven“ von Benjamin Best und Rebecca Gudisch

Die Zahl der Menschen, die an klinischen Studien in Indien teilnehmen, ist in den letzten fünf Jahren stark angestiegen auf zuletzt über 4000 Patienten im Jahr. Tests in Indien sind dabei billiger als in der westlichen Welt, etwa in Deutschland oder den USA. Und es gibt bei über 1,3 Milliarden Menschen kaum ein Land, das mehr potentielle Versuchsteilnehmer bietet als Indien. Wir sind auf der Suche nach Menschen, die ohne ihr Wissen Teil von Medikamententests großer, westlicher Pharmaunternehmen geworden sind.

Oft sind die Ärmsten der Armen Teil von Medikamententests - auch Kinder © Best/Gudisch

Oft sind die Ärmsten der Armen Teil von Medikamententests - auch Kinder © Best/Gudisch

So gut, wie alle großen Pharmafirmen testen mittlerweile Medikamente außerhalb von Europa und den USA, z.B. in Indien. Der ehemalige Arzt und Medizinjournalisten Chandra Gulhati beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem unethische Zusammenspiel zwischen westlichen Pharmafirmen, Contract Research Organizations (CRO’s; dies sind Forschungsagenturen, die im Auftrag der Pharmaunternehmen die Studien ausführen), indischen unabhängigen Ethikkommissionen und lokalen Ärzten. „Alle machen Geld: Die Pharmafirma, der Arzt, das Krankenhaus. Alle verdienen auf Kosten des Patienten“, beschreibt Gulhati. Auf die Frage, ob die ausländischen Pharmafirmen diese Probleme denn kennen, antwortet er: „Natürlich. genau deshalb kommen sie ja nach Indien.“

Wir treffen Ameena Bee. Die 62-jährige lebt mit ihrem Mann in Pithampur, in einer kleinen Siedlung die eine Autostunde von Indore entfernt ist. Ihr Leben spielt sich hauptsächlich in einer Hütte aus Plastikplanen und Lehm ab. Die Toilette ist das freie Feld hinter dem Dorf, es gibt kein fließend Wasser und ihr ganzer Stolz ist ihre Kuh und einige Ziegen, die sie züchten, um von dem Ertrag irgendwie zu überleben. Alles fing mit Herzproblemen und Atemnot an. Ihr Ehemann brachte sie in das staatliche Krankenhaus nach Indore. Nur hier konnten sie sich eine ärztliche Behandlung leisten.

Ameena Bee © Best/Gudisch

„Ich habe meinem Arzt vertraut, dass er mich heilen kann“, erzählt uns Ameena. Der Arzt, Prof. Dr. Anil Bharani, verordnete Ameena Bee Tabletten. „Was das für Tabletten waren, weiß ich nicht“, behauptet sie. Der Arzt bat sie, einige Papiere zu unterschreiben, erklärt Ameena. „Aber ich kann nicht lesen und schreiben, deshalb weiß ich nicht genau, was das war.“ Einige Papiere habe sie deshalb mit ihrem Daumenabdruck abgezeichnet. Die Unterlagen hat sie nicht mehr. Doch eingeklemmt unter dem Wellblechdach, damit das Papier bei der nächsten Flut trocken bleibt, hat Ameena Bee eine zerknitterte Medikamentenschachtel verwahrt. Auf ihr klebt noch ein Siegel von Bristol-Myers Squibb und die Aufschrift: „Vorsicht neues Medikament. Laut US-Gesetz nur für den Test-Gebrauch bestimmt „Caution new drug. Limited by United States Law to Investigational Use“. Und die Versuchsnummer CV-185-048.

Es handelt sich um den Gerinnungshemmer Apixaban und es soll getestet werden, ob es bei Patienten mit Vorhofflimmern atrial fibrillation einen Schlaganfall besser verhindert als Acetylsalicylsäure, besser bekannt als Aspirin. „Außerdem soll die Sicherheit dieser Behandlung getestet werden“, heißt es weiter in der Studie. Bristol-Myers Squibb erklärt auf Nachfrage zu dem Fall von Ameena Bee: „Wir (…) legen hohe Maßstäbe in Bezug auf unser ethisches Verhalten. Unsere Medikamente entsprechen den von den (indischen) Zulassungsbehörden vorgeschriebenen Anforderungen.“ Ameena Bee hingegen bleibt bei ihrer Aussage: Ihr Arzt habe sie nie darüber aufgeklärt, dass sie an einem Versuch mitmache. „Ich bin wütend, dass der Arzt das mit meiner Frau gemacht hat“, so Ameena Bees Mann.